Globales Lernen: Österreichische Schüler auf der Suche nach dem Missing Link

10 essays cover

1. Juli 2013

Es freut mich, die Arbeit von Schülern einer Klasse eines österreichischen Gymnasiums (high school) vorstellen zu können. Begleitet wurden die Schüler von zwei Lehrern (Leonore und Hermann) – siehe Fotos. Sie haben sich im letzten Semester mit unterschiedlichen Facetten der Katastrophe von Fukushima beschäftigt und haben Essays verfasst, in denen sie ihre Überlegungen darlegen. Sie haben in ihrer Arbeit auch wesentlich – aber nicht ausschließlich – auf diese Website Bezug genommen.

 

Lesen sie die Broschüre der Klasse

 

In den letzten drei Jahren war der Fokus der Website www.akiomatsumura.com auf das Fukushima Desaster gerichtet. Sie lieferte fachkundige wissenschaftliche, medizinische und politische Kommentare für ein besseres Verständnis der Folgen dieser anhaltenden atomaren Bedrohung. Wir haben Nuklearexperten, Diplomaten, Mediziner und Atomtechniker eingebunden, um ein möglichst vollständiges Bild zu liefern. Mit anderen Worten – wir sehen es als wichtig an, dass horizontale Verbindungen zwischen den verschiedenen Fachgebieten geknüpft werden, damit unsere Sichtweise nicht auf ein Fachgebiet beschränkt bleibt. Das Desaster von Fukushima ist nur ein Beispiel dafür, dass wir den Missing Link finden müssen.

Davor habe ich daran gearbeitet, religiöse Konflikte einzudämmen, eine politische Verständigung in Asien zu ermöglichen und das Umweltbewusstsein weltweit zu stärken.

Den Missing Link zu finden, heißt für mich: Nach Wegen zu suchen, die die Abgründe überbrücken, die sich zwischen den Wissens-Türmen unseres vertikalen Denkens auftun. Mit welchen Problemen, die wir nie für möglich gehalten oder über die wir nicht ausreichend gesprochen haben, müssen wir uns inzwischen auseinandersetzen? Fukushima gehört da sicher dazu.

Ein Schwenk hin zu einem horizontalen Denken, durch das Menschengruppen und Arbeitsfelder zusammen kommen, die sonst nicht verbunden wären, ist der einzig gangbare Weg, um die Aufgaben, die im Laufe des 21. Jahrhunderts auf uns zukommen werden, meistern zu können. Und das muss in jungen Jahren beginnen. Mit einigen Freunden, die ich an der Universität gewonnen habe, stehe ich noch heute in engster, andauernder und hilfreicher Beziehung.

Die österreichische Schulklasse und ihre Arbeit, die ich hier vorstelle, ist ein Mosaiksteinchen in einem größeren Bild. Wir brauchen ein weltweites Bildungs-Netzwerk, in dem gemeinsam an bestimmten Themen gearbeitet wird und in dem es möglich sein soll, direkt mit den entsprechenden Experten in Verbindung zu treten – das brauchen wir mehr denn je, um die neuartigen Probleme, die in einer veränderten Welt auftreten, in den Griff zu bekommen.

Und die Gelegenheit dazu war noch nie so günstig wie heute. Der offensichtliche Vorteil, den wir heute haben, ist technologischer Natur. Die Leichtigkeit, mit der wir enge Verbindungen über soziale Medien, Video Chats und andere Internet-Technologien knüpfen können, ist verblüffend. Heute habe wir – im Unterschied zu vor gerade mal 5 Jahren – erstmals in der Menschheitsgeschichte die Möglichkeit, in globalen Größenordnungen zu handeln.

So ein Netzwerk – mit dem Ziel, das „Dazwischen-liegende“, das Ausgeblendete, das Neue anzuschauen – wird ein großer Schritt sein, sofern er richtig gesetzt wird.

Hier nun ein Auszug aus der Arbeit der Schüler:

 

Die Strahlenkatastrophe von Fukushima

 

Alle Menschen auf der Erde haben von der Strahlenkatastrophe in Fukushima gehört, alle waren schockiert – aber was geschah danach und was passiert im Augenblick? Gerade mal ein Handvoll Menschen ist wirklich über den aktuellen Zustand informiert. Die Rede von Dr. Helen Caldicott*, einer Kinderärztin, vermag etwas Licht in das Dunkel zu bringen und einige Fehler seitens der Regierung darzustellen.

Zuallererst sei daran erinnert, dass die japanische Regierung gewusst hat, wie sich die Windströ­mungen verhielten und wohin die Strahlung nach dem Unfall zog, aber sie hat die Menschen nicht informiert und so sind Menschen in Gebiete mit maximaler Strahlung geflohen. Sie hat es auch versäumt, die Bevölkerung über die Auswirkungen der Strahlung auf den Menschen zu informie­ren. Strahlung kann Krebs verursachen, aber auch Leukämie und angeborene Missbildungen. Und diese Leiden sind für die nächsten Jahre in Japan zu erwarten. So brauchte es 5 Jahre, bis die Kin­der um Tschernobyl Krebs entwickelten. Kinder sind 10 bis 20 Mal empfindlicher als Erwachsene, was die Auswirkungen von Radioaktivität betrifft. Neuere Untersuchungen zeigen, dass bei einem 12 Jahre alten Jungen in Japan Krebs diagnostiziert wurde und ein 16 Jahre altes Mädchen vermut­lich Krebs entwickelt hat [Mittlerweile wurde in der Präfektur Fukushima bei 12 Kindern Schilddrü­senkrebs festgestellt, bei weiteren 16 besteht der Verdacht auf Schilddrüsenkrebs:

http://ajw.asahi.com/article/0311disaster/fukushima/AJ201306060092 , Anm. d. Red.]

Es ist kaum möglich, den Müll in Japan aufzuräumen, aber das ist noch nicht das Ende der Tragödie. Wenn es im Umfeld von Reaktorgebäude 4, das ein Abklingbecken enthält, ein weiteres Erdbeben stärker als 7 gibt, dann kollabiert das Becken und kann [ca. 30 m, AdR] herunterfallen, wodurch ein radioaktives Feuer entstünde, das 10 Mal mehr Radioaktivität freisetzen würde als bei Tschernobyl. Auf der ganzen Erde hätten die Menschen darunter zu leiden, ein großer Teil Japans wäre vernichtet. Die japanische Regierung allerdings weigert sich, die Gebiete um Fukushima zu evakuieren und lässt die Menschen im Stich.

Aber das ist nicht allein ein Problem Japans – wir alle haben die Verpflichtung zu helfen und das wird nur möglich sein, wenn die internationale Gemeinschaft sich von der Situation ein Bild machen kann.

Nicht nur die Regierung hat Fehler gemacht, auch die WHO (Welt Gesundheits Organisation) muss kritisiert werden. Es wäre ihre Pflicht, richtige Informationen über die Strahlung im Allgemeinen und über ihre Auswirkungen auf den Menschen zu geben. Sie sollte medizinisch beraten und unterstützen, besonders im Fall von Kindern. Obwohl der WHO die Gefahren bekannt sind, unternimmt sie derzeit nichts und spielt die Auswirkungen auf die Gesundheit noch herunter, weil sie keine Panik erzeugen will.

 

Wenn wir auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte schauen, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die japanische Regierung gegen sechs Menschenrechte verstößt:

 

§3: Das Recht auf Leben. Jeder hat das Recht auf Leben – in Freiheit und Sicherheit.

§5: Keine Folter. Niemand hat das Recht, uns zu verletzen und zu foltern.

§14: Das Recht, einen sicheren Platz zum Leben zu suchen. Wenn wir befürchten müssen, dass wir in unserem Land schlecht behandelt werden, haben wir das Recht, in ein anderes Land zu ziehen, in dem wir uns sicher fühlen.

Die Regierung verweigert die Evakuierung und gefährdet das Leben von 250.000 Menschen. Es gibt keinerlei Sicherheit, diese Menschen werden zur Zeit von der Strahlung geschädigt und das ist in der Tat nicht fair.

§22: Soziale Sicherheit. Jeder Mensch hat das Recht auf eine erschwingliche Unterkunft, auf medizinische Versorgung, Bildung und Kinderbetreuung, ausreichenden Lebensunterhalt und medizinische Hilfe, wenn er krank oder alt ist.

Es gibt keine / kaum ausreichende medizinische Hilfe in Japan.

§25: Nahrung und Unterkunft für alle. Wir alle haben das Recht auf ein angemessenes Leben. Mütter und Kinder, alte Menschen, Arbeitslose und Behinderte: alle Menschen haben das Recht auf Obsorge.

§29: Verantwortung. Wir alle tragen gegenüber unseren Mitmenschen Verantwortung und wir sollen ihre Rechte und Freiheiten schützen.

 

Ein Leben, das durch Strahlung gefährdet ist, wird wohl niemand als ein gutes Leben bezeichnen wollen. Die japanische Regierung ist für die Menschen verantwortlich, die in diesem Land leben, und sie kümmert sich nicht um sie und unterstützt sie nicht. Weiterhin bekommen kleine Kinder in Kindergärten und Schulen kontaminierte Nahrung zu essen, was natürlich verheerende Folgen für ihre Gesundheit hat.

Der Unfall von Fukushima ist der schlimmste der Menschheitsgeschichte. Und es ist jetzt unsere Pflicht, zu informieren und zu helfen.

Abschließend möchten wir bemerken: Wir sind über das schockiert, was gerade in Japan passiert, weil wir überhaupt keine Informationen darüber erhalten, was seit dem Unfall wirklich los ist. Wir sind nicht nur um die Menschen in Japan besorgt – wir machen uns auch Sorgen wegen der Auswirkungen auf unsere Gesundheit, die die kontaminierte Umwelt hat, in der wir leben.

 

Quellen:

* http://www.youtube.com/watch?v=7DE-pq_wmNQ

http://www.japantimes.co.jp/news/2012/12/16/national/who-downplayed-health-effects-of-nuclear-crisis-on-fukushima-residents-german-physician/#.UboT-hCgqeJ

http://www.youthforhumanrights.org/what-are-human-rights/universal-declaration-of-human-rights/articles-1-15.html

 

Michael Angerer, Jasmin Ascher, Julia Hecher – 7A, June 2013

 

 

 

 

Originalquelle: http://akiomatsumura.com/2013/07/global-education-austrian-students-search-for-the-missing-link.html

Übersetzung und Lektorat: www.afaz.at (ho,lg)

 

Dieses Schriftstücks steht unter GFDL, siehe www.gnu.org/licenses/old-licenses/fdl-1.2.html. Vervielfältigung und Verbreitung – auch in geänderter Form – sind jederzeit gestattet, Änderungen müssen mitgeteilt werden (email: afaz@gmx.at).       www.afaz   Juli 2013 /v1

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