Eine neue Art der Konfrontation und der 25. Jahrestag des Moskau Global Forums

Die gewalttätigen Übergriffe in Paris, die letzte Woche siebzehn Tote gefordert und Millionen dazu bewegt haben, vereint auf den Straßen von Paris zu marschieren, sind symptomatisch für die neue Art von Konfrontation, die das Leben, die Politik und das Wirtschaftssystem erschüttert. Die großen Unterschiede einmal in Religion und Kultur und zum anderen in der Art und Weise, wie wir versuchen unser Leben zu bewältigen, veranlassen viele Menschen auf dieser Erde, ihr Leben im Gegensatz zu den anderen zu sehen – in starker Abhängigkeit von Ideologien, die bei allen Betroffenen eine Rolle spielen. Angst, Pessimismus und der Mangel an Vertrauen prägen das tägliche Miteinander in vielen Teilen der Welt, aber auch unsere internationale Politik.

Moscow PhotoAls vor genau 25 Jahren das Globale Forum für hochrangige geistliche und parlamentarische Führungspersönlichkeiten in Moskau ins Leben gerufen wurde, war dies ein Zeichen für den Beginn einer neuen Ära der Offenheit und des Optimismus und eine düstere Periode des Misstrauens und der Zwietracht wurde damit beendet. Zwei Monate zuvor war die Berliner Mauer gefallen und die Sowjetunion und die USA suchten nach dem Kalten Krieg einen Weg der Kooperation. Präsident Gorbatschow, der die Öffnung der Sowjetunion vorantrieb, war bereit, für mehr als 1.000 religiöse und politische Führungspersönlichkeiten einen mehrtägigen Dialog über die drängenden globalen Probleme zu veranstalten. Im Unterschied zu heute suchten die Führungspersönlichkeiten nach neuen Wegen in die Zukunft, indem sie sich auf Gespräche einließen – statt die Brücken des Dialogs einzureißen.

Die Anwesenden hatten sich dafür entschieden, einander zu vertrauen und sich über kulturelle und politische Unterschiede hinaus zu verständigen. Auf dem Global Forum trafen sich mehr als tausend religiöse und politische Führungspersönlichkeiten aus der ganzen Welt – als Gleichberechtigte und als Einzelpersonen –, um über die großen Herausforderungen für die Menschheit zu sprechen. Präsident Gorbatschows Erklärung anlässlich der Eröffnung ließ Hoffnung aufkommen. Sie wurde von allen Anwesenden begrüßt – mit dabei waren:

  • Javier Perez de Cuellar, Genralsekretär der UN,
  • Gro Harlem Brundtland, ehemaliger Premierminister von Norwegen
  • Senator Claiborne Pell,
  • Senator Albert Gore,
  • Sheikh Ahmad Kuftaro, Großmufti von Syrien,
  • Immanuel Jakobovits, Oberster Rabbi des Vereinigten Königreichs
  • Elie Wiesel, Nobelpreisträger,
  • Carl Sagan,
  • Rev Theodore Hesburgh
  • und viele mehr..

Inhalt und Gesprächston änderten sich, das Gespräch bewegte sich in Richtung regionaler Zusammenarbeit, Abrüstung und Umwelt. In seinem Einführungsvortrag stellte Präsident Gorbatschow die Idee eines internationalen Grünen Kreuzes vor und unterstützte das Ende der Atomtests wegen dem daraus folgenden Nutzen für die Umwelt.

Das Wichtigste aber war, dass die Menschen dazu bereit waren, Risiken für eine bessere und optimistischere Vision der Welt einzugehen. Präsident Gorbatschow war sich der Risiken bewusst, die er eingehen musste, wenn er den Kurs der Sowjetunion ändern wollte. Die Perestroika war in vollem Gange und er war bereit, die religiösen Tabus des atheistischen kommunistischen Staats zu überwinden und eine große Konferenz für Mitglieder vieler Glaubensrichtungen und für Politiker im Kreml abzuhalten. Dann aber sollte ein eilig einberufenes Parteitreffen stattfinden, das mit der am Freitag um 14:00 Uhr geplanten Abschlussveranstaltung des Global Forums kollidierte. Man informierte mich, dass die Abschlussfeier des Globalen Forums abgesagt werden müsse.

Durch Rücksprache mit Dr. Velikhov, dem Chefberater von Präsident Gorbatschow, konnten wir Präsident Gorbatschow erfolgreich davon überzeugen, dass ein Kompromiss möglich wäre: der Kreml sollte an dem Tag seine Sitzung abhalten und die Abschlussfeier des Forum sollte verschoben werden. Als ich die gute Nachricht unseren Teilnehmern mitgeteilt hatte, sah ich mich von mehreren äußerst unzufriedenen Teilnehmern jüdischen Glaubens umgeben. „Aber Akio“, sagten sie, „du hast die Abschlussfeier auf Freitag nach Sonnenuntergang verschoben. Wir können am Sabbat nicht teilnehmen. Du hast uns von der Abschlussfeier ausgeschlossen.“ Es war klar, dass das eine wirklich prekäre Situation war – wo die kommunistische Partei doch einen Kompromiss eingegangen war, der uns erst das Weitermachen ermöglichte. Unsere jüdischen Freunde suchten nach einer Lösung in dieser Situation, hielten ein Minjan ab, in dem sie für unser gemeinsames Ziel beteten. Die Konferenz wurde an diesem Abend erfolgreich beendet – mit allen Teilnehmenden.

Dieses kleine Wunder, in der eine traditionsbedingte Schranke in Dienste des höheren Interesses überwunden wurde, spiegelte den Geist und den Optimismus der Moskauer Konferenz wieder, was wir nutzen wollten, um ein neues Jahrzehnt und eine neue Phase in der internationalen Politik zu beginnen. Nur die Einigung in einer Minjan ermöglichte es den jüdischen Teilnehmern, während des Sabbats an der Abschlussfeier teilzunehmen, aber jeder Teilnehmer an der Minjan musste für sich entscheiden, ob er teilnehmen und für diese Gelegenheit beten sollte.

Schwere Sorgen macht mir derzeit die wachsende Ausbreitung des islamischen Staates, der sich aus ideologischen Gruppierungen mit unterschiedlicher politischer und religiöser Natur aufbaut. Diese rekrutieren äußerst erfolgreich über die sozialen Medien junge Kämpfer aus vielen Ländern und zielen auf reiche Ölstaaten im Mittleren Osten, auf instabile Regionen in Afrika, Pakistan, Afghanistan und in China. Das ist ein neuartiger Krieg zwischen Staaten und nicht staatlich organisierten Gruppen. Besonders Pakistan – mit seinen Atomwaffen und Atomkraftwerken – stellt ein besorgniserregendes Ziel für die ISIS dar. Wo liegt die Grenze zwischen dem wirtschaftlichen Nutzen für ein Land und der möglichen Gefahr eines terroristischen Anschlags angesichts hunderter Atomkraftwerke?

Wir sind nicht darauf vorbereitet, auf gefährliche und groß angelegte Netzwerke zu reagieren. Wir brauchen, noch mehr als seinerzeit beim Moskauer Global Forum, Menschen, die ein Risiko für ein höheres Interesse eingehen wollen, um geschichtlich gewachsene Gräben zu überwinden und nicht noch weiter zu vertiefen. Und um schließlich jene Institutionen, die unser Leben bestimmen, zu reformieren und neu zu formen.

AFP
AFP

Ein konkretes Beispiel im Sinne dieses Ziels und dessen, was wir im Sinne eines Weiterkommens vorschlagen, stammt von Teju Cole, der in dieser Woche im New Yorker eine sofortige Reaktion auf die Gewalt in Paris forderte:

Frankreich ist heute in Trauer und wird es noch über viele Wochen bleiben. Wir trauern mit Frankreich. Wir müssen es. Aber ebenso wahr ist, dass die Gewalt von „unserer“ Seite unvermindert weitergeht. In einem Monat werden noch viele mehr „junge Menschen im wehrfähigen Alter“ und andere, die weder jung noch männlich sind, mit größter Wahrscheinlichkeit durch US-Drohnenangriffe in Pakistan oder sonst wo getötet worden sein. Wir müssen aus den bisherigen Angriffen schließen, dass viele dieser Menschen unschuldig sind. Ihr Tod wird als normal und unvermeidlich hingenommen – so wie die Toten wie Menocchio unter der Inquisition hingenommen wurden. Die unter uns, die Schriftsteller sind, werden sich von solchem Morden nicht den Bleistift brechen lassen. Dennoch bleibt dieses Unerträgliche, bleibt diese Unfähigkeit zu Trauern und bleibt das Massaker in Paris eine klare und allgegenwärtige Gefahr für unserer aller Freiheit.

Wir werden diesen Blog weiterführen und wir werden darüber sprechen, wie Führungspersönlichkeiten davon überzeugt werden können, die Barrieren zu überwinden und welche Faktoren und welche Situationen das Vertrauen fördern können. Und weiters werden wir von unseren Vorstellungen für eine gemeinsame politische und religiöse Führung im 21. Jahrhunderts sprechen.

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