Kann Atomkraft die Antwort auf Indiens Strombedarf sein?

M. V. Ramana arbeitet am Programm für Wissenschaft und Globale Sicherheit an der Woodrow Wilson School of Public and International Af-fairs an der Princeton Univer-sität mit und ist der Autor des Buches „Die Macht des Ver¬sprechens: Indiens Atomkraft auf dem Prüfstand“
M. V. Ramana arbeitet am Programm für Wissenschaft und Globale Sicherheit an der Woodrow Wilson School of Public and International Af-fairs an der Princeton Univer-sität mit und ist der Autor des Buches „Die Macht des Ver¬sprechens: Indiens Atomkraft auf dem Prüfstand“

von M.V. Ramana

Die indische Regierung ist in Gesprächen mit der japanischen Regierung, deren Ziel ein bilaterales Abkommen über eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Atomenergie sein soll. Dieses Abkommen würde es Indien erlauben, Reaktorbauteile aus Japan zu importieren. Das Hauptargument für Indiens Plä­ne, die Atomkraft auszubauen, ist der Umstand, dass das Land immer noch an Strommangel leidet und der Strombedarf schnell wächst.

Dreierlei liegt dieser Diskussion zugrunde. Das erste – und das ist das wohl Schmerzlichste – ist die Tatsache, dass Japan, in dem es zur Zeit eine landeswei­te und starke demokratische Opposition gegen das Wieder-Hochfahren von Atomkraftwerken gibt, plant, Reaktorbauteile an ein Land zu liefern, in dem es ebenfalls eine nicht zu übersehende Opposition gegen die Atomkraft gibt, vor allem bei den Atomkraftwerken, bei denen man sich für Reaktoren entschieden hat, die von Unternehmen wie Westinghouse, General Electric und Areva geliefert werden. Die Gründe für diese Opposition sind nicht schwer zu erraten. Nach dem 11. März 2011 können sich die Menschen, die nahe an einem bestehenden oder geplanten Atomkraftwerk leben, lebhaft vorstellen, dass sie ein Schicksal erleiden können, das dem der Bewohner rund um Fukushima ähnlich ist. Die Atomkraftwerke stehen auch in Gebieten, in denen abertausende Menschen von der Landwirtschaft, vom Fischfang und von ähnlichen Arbeiten leben, und diese Menschen sehen richtigerweise einen Reaktor als eine große Gefahr für ihre Lebensgrundlage. Die Reaktion der indi­schen Regierung auf diese Opposition war eine Mischung aus Repression, Bestechung und Propaganda. Die Unterstützung für die atomaren Bestrebungen der indischen Regierung zeugt nicht gerade von Re­spekt vor demokratischen Grundsätzen.

Die zweite Tatsache, die ich in meinem Buch Die Macht von Versprechen: Indiens Atomkraft auf dem Prüfstand beschreibe, ist die, dass Atomkraft nicht die Antwort auf Indiens Stromproblem ist. Es gibt mehrere Gründe für diese These: Fehler in Serie, schlechte Technologieauswahl und Organisationsmängel. Sollte jetzt damit angefangen werden, so liegt die bisherige atomare Kapazität – mehr als 60 Jahre, nachdem das Atomenergieprogramm ins Leben gerufen worden war – gerade mal bei 5.789 MW, was ungefähr 2,5% der Stromproduktion ausmacht. Sogar bei optimistischen Annahmen für die Zukunft wird dieser Anteil in den nächsten Jahrzehnten nicht wesentlich über 5% ansteigen. Aber Optimismus ist nicht angesagt. Das indische Ministerium für Atomenergie (DAE) verfolgt auf lange Sicht ehrgeizige Projekte und hat dabei versäumt, diese bekannt zu machen. Der Plan der DAE schließt auch den Bau von hunderten Schnellen Brütern [Schnellen Neutronen Reaktoren, AdÜ] ein. In den ers­ten Jahrzehnten der Atomkraft verfolgten viele Länder Programme zur Entwicklung von Schnellen Brü­tern, aber so gut wie alle gaben die Brüter-Technologie auf, weil diese unsicher und unwirtschaftlich ist. Die DAE hat nichts aus der weltweit leidigen Geschichte mit den Schnellen Brütern gelernt und das zeigt den Mangel an Lernfähigkeit. Im Gegensatz dazu hat die Windenergie – mit der es erst in den 90er-Jahren in ernst zu nehmender Weise los ging – die Atomenergie überholt, und zwar nicht nur bei der installierten Kapazität, sondern auch bei der Menge (kWs) der eingespeisten Strommenge.

Die dritte Tatsache ist die, dass Indien – und industrialisierte Länder im Allgemeinen – Strom brauchen, der billig und erschwinglich ist. So gesehen ist es damit bei der Atomenergie schlecht bestellt, weil sie teuer ist. Und das hat sich im Falle von Indien sattsam bestätigt, weil Kohlekraftstrom wesentlich billi­ger als Atomstrom war. Zukünftige Reaktoren – beide importierten Typen, sowohl Leichtwasser-Reak­toren als auch Schnelle Brüter – versprechen wesentlich teurer zu werden, was den produzierten Strom für die finanziell schwächeren Gruppen in der Gesellschaft unerschwinglich macht. Und die Er­wartungen, dass die Atomindustrie aus der Vergangenheit lernt und die Herstellungskosten senken kann, haben sich immer wieder als trügerisch erwiesen.

Schließlich noch zu einem weiteren Argument, dass überall zu hören ist – dass Atomkraft Indiens CO2-Emissionen drastisch senken und deshalb zur Abschwächung des Klimawandels beitragen würde. Erstens sehen die indischen Planer das nicht als eine Frage von Atomkraft oder Fossiler Energie, sondern von Atomkraft und Fossiler Energie. Zweitens, wenn der Anteil der Atomkraft nicht rasch und in einem ernstzunehmenden Maß ausgebaut werden kann, kann diese nicht Entscheidendes zum Klimawandel beitragen, insbesondere wenn der gelungene Ausbau auf Kosten von Investitionen in andere mögliche Lösungen im Energiesektor geht. Drittens kann die Atomenergie – weil sie für einen zentralen Ansatz und für gewaltige Kosten steht – keine bedeutende Rolle spielen, wenn es um eine Lösung für den Energiebedarf der überwiegenden Mehrheit der indischen Bevölkerung geht, und noch viel weniger, wenn es darum geht, das Stromnetz auszubauen. Im Besonderen, wenn Atomenergie als Lösung für den Klimawandel ins Spiel gebracht wird, bringt das zwei miteinander verwandte Probleme mit sich: die Anfälligkeit für katastrophale Unfälle und den Zwang, radioaktiven Müll im Griff zu haben, der für Jahrtausende eine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es keinen Grund gibt, den Ausbau der Atomkraft in Indien in großem Ausmaß zu unterstützen. Die japanischen Führungspersönlichkeiten sollten sich dieser Reali­tät stellen, wenn sie vorhaben, in Indien in die Atomwirtschaft einzusteigen.

M. V. Ramana arbeitet am Programm für Wissenschaft und Globale Sicherheit an der Woodrow Wilson School of Public and International Affairs an der Princeton Universität mit und ist der Autor des Buches „Die Macht des Versprechens: Indiens Atomkraft auf dem Prüfstand“.

Originalquelle:  http://akiomatsumura.com/2013/11/can-nuclear-power-be-an-answer-to-indias-electricity-needs.html

Übersetzung, Lektorat: www.afaz.at  (ho,lg)

Dieses Schriftstücks steht unter GFDL, siehe www.gnu.org/licenses/old-licenses/fdl-1.2.html.  Vervielfältigung und Verbreitung – auch in geänderter Form – sind jederzeit gestattet, Änderungen müssen mitgeteilt werden (email: afaz@gmx.at ). www.afaz.at  November 2013 /v1

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